Islamo-Feminismus radikal

Sie sind wütend, schamlos und radikal: Feridun Zaimoglu hat in seinem Dokumentar-Theaterstück „Schwarze Jungfrauen“ jungen Musliminnen eine Stimme verliehen. Nun ist das Stück als Hörspiel erschienen. Nimet Seker informiert.

jungfra_1Stimmengewirr. Eine junge Frau erzählt im Plauderton von ihren Affären. Es kommt so weit, dass ihre türkische Familie davon erfährt und sie nach Berlin abhaut: „Ich bin die Hure des Viertels, ich muss sofort weg! Ich bin voll das Klischee: Zwei Türkenbrüder, ein Moscheegänger als Vater, die Mutter dick in der Küche.“

Während ihres Partylebens in Berlin gönnt sie sich zahlreiche Liebhaber. Süße deutsche Jungs werden einer nach dem anderen vernascht…und endlich nichts wie raus aus dem Türkenviertel!

Was zunächst wie eine Selbstbefreiungsstory klingt, ist die Geschichte einer der Musliminnen, die im Theaterstück „Schwarze Jungfrauen“ ihre Stimme erheben.

Und dann kommt die junge Deutschtürkin auf den Islam zu sprechen: „Da knallt es bei mir. Übersättigung, Überdruck. Der Allmächtige hat mich eingefangen. In wenigen Tagen habe ich mich umorientiert.“ Sie folgt jedoch ihren eigenen moralischen Vorstellungen: „Ich trage kein Mumientuch, ich bin nicht enthaltsam. Ich bete fünf Mal am Tag, ich faste im Ramadan und ich bin überzeugte Muslimin.“

Schamlos und provokativ

Schwarze Jungfrauen: Das sind junge Musliminnen, die sich nichts vorschreiben lassen und in kein Schema passen. Sie sind cool, radikal, frech, wütend, provokativ.

Mit ihrer schamlosen Sprache sorgen sie für Verwirrung: „Ich sag ihm gleich: Hör zu, wenn du ficken willst, bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich bin Moslemmädchen, ficken vor der Ehe geht nicht!“, meint eine zu ihrem Traumboy. Oder anders gesagt: „Ich wollte keinen Porno mit dem Jungen aus dem Telefonladen, und er wollte auch keinen Porno mit mir.“

Feridun Zaimoglu und Günter Senkel haben für das Theaterstück 30 junge Musliminnen interviewt und ihnen einen Namen gegeben: „Neomusliminnen.“ Nachdem das Dokumentar-Stück 2006 auf mehreren Bühnen gespielt wurde, ist es nun als Hörspiel erschienen.

Hier wird weder über, noch mit gläubigen Musliminnen geredet. Hier sprechen sie selbst. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie etwa über Dschihad, Glaube, Ehre, Schande, Islamophobie, Antisemitismus sprechen. Ihre Aussagen sind ungeschönt, unkommentiert. Die Autoren wollten bewusst diese „Sichtbarmachung“, ohne dabei moralisch zu bewerten.

Hardcore-Islamismus gegen fromme Schwestern

Mit ihrer Wut über das gesellschaftliche System und ihrer Kritik an überkommenen Moralvorstellungen verschonen sie weder Deutsche noch Muslime: „Du gehst am Freitag zu ’ner Negernutte und wenn’s darum geht zu heiraten, willst du ’ne Unberührte mit ’ner heilen Jungfernhaut?! Nur ein unberührter Mann kommt mit einer Unberührten zusammen. Denn: Wenn du klares, reines Wasser in die Kloake kippst, wird das Wasser doch schmutzig“, sagt eine zu ihrem Freund.

Von den „Schwarzen Jungfrauen“ wirbt keine für Verständnis, Toleranz oder Integration. Sie schaffen sich ihren Islam selbst. Und sie sind politisch inkorrekt. Sie verbinden „Hardcore-Islamismus“ mit modernem Großstadtleben.

Der Islam der „frommen Schwestern“ interessiert sie nicht: „Mein Glaube ist nicht angelesen, ich folge meiner Intuition. Die frommen Schwestern würden mich wahrscheinlich an einen Pfahl binden und anzünden. Ihre Moral geht mir am Arsch vorbei. Ich bin eine unanständige Frau und will auch nicht in ihren Nähzirkel aufgenommen werden. Scheiß drauf. Scheiß auf alle, außer auf Gott!“

Gegen „Pornographen“ und „Exotenweibchen“

Angesichts dieser verstörenden Reden wird deutlich: Dies sind die Stimmen derer, die an den Rand gedrängt werden, weil sie nicht ins gesellschaftliche Rollenschema passen. Eine Unterscheidung zwischen „traditionellen“ und „modernen“ Muslimen ist hier fehl am Platz. Die viel beschworene islamische „Parallelgesellschaft“ ist ein schwammiges Konstrukt. Die „Schwarzen Jungfrauen“ entziehen sich jeglicher klischeehafter Beschreibung.

Ihre politischen Ansichten sind unmissverständlich und provokant. Der Traum von der islamistischen Weltherrschaft entsteht durch Demütigung und Verletzung: „Morgen, wenn die deutschen Kindeskinder sich am neuen Glauben berauschen, wird man sich an die heutigen Zeiten erinnern, an die Hetze gegen Moslems. An die Pornographen, die uns bekämpfen. An die aufgeklärten Exotenweibchen, die bei unserem Anblick schäumen.“

Der Kampf für den Dschihad, die „Kriminalität für das, was oberhalb der Wolken ist“, wird in einem Atemzug mit dem Kampf um Liebe genannt: „Ich bin schwer für Dschihad. Aber mit der Liebe könnte es auch mal klappen. Dschihad und Liebe – da wäre ich echt mal glücklich.“ Das Spiel mit den Klischees ist perfekt.

Kritik an den namentlich nicht genannten Islamkritikerinnen darf natürlich nicht fehlen. Ihr Auftritt wird beschrieben als „Schlampentheater“. Ein Kommentar zu ihren Bestsellern: „Diese Selbstbefreiungsbücher aus der Feder von abtrünnigen Schlampen sind Comics für bildungsarme Spießer.“

Zaimoglus „Neomusliminnen“ sind böse, problematisch und widersprüchlich. Aber gerade das macht sie realistisch. Mit ihrem Islamo-Feminismus verleihen sie der Emanzipation und dem Feminismus gewiss neue Impulse.

Nimet Seker

© Qantara.de 2008

Schwarze Jungfrauen. Hörspiel nach dem Theaterstück von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Regie: Leonhard Koppelmann. Hoffmann und Campe 2008.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des gemeinsamen Projekts „Meeting the Other“ mit dem Online-Magazin babelmed.net im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier

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